Am Anfang war der Gardasee
Als ich Anfang der 90er Jahre wieder einmal an den Gardasee nach Italien fuhr, nahm ich ein GU-Buch mit. Diese Gräfe und Unzer Bücher haben mich schon immer fasziniert, da sie auf einfache Weise komplexe Themen anschaulich und einfach beschreiben. Mein damals neues GU-Buch handelte vom Yoga, Yoga für Anfänger von Harry Waesse. Als sportbegeisterte Frau hatte ich bereits Vieles ausprobiert. In der Schule ging ich ins Leistungsturnen spielte Volleyball, Eishockey, ging Reiten, Surfen, Skifahren. Alles unterlag dem Leistungsdruck: in allem, was Du tust, musst Du wirklich gut sein, um bestehen zu können.
Harry Waesse beschrieb in seinem Buch, „Yoga, die jahrtausendealte indische Lehre vom Leben, hilft uns, körperliche und seelische Verspannungen zu lösen und zur Ruhe, Gelassenheit und Selbstsicherheit zurückzufinden. Diese Methode ist wie keine andere dazu geeignet, den alltäglichen Stress abzubauen und die vielen, zum Teil schweren Folgen unserer mittlerweile recht unnatürlichen Lebensweise auszugleichen und langfristig zu verhindern…. Jede/r kann zu jeder Zeit mit Yoga beginnen, unabhängig von Alter und Religion.“1
orhythmus, der sich in den unterschiedlichen Phasen der Leistungsfähigkeit zeigt. Dieser Rhythmus wird von der sogenannten inneren Uhr vorgegeben und diese wird durch einen Nervenkernbereich in unserem Zwischenhirn gesteuert. Sie kennen sicher Menschen, die frühmorgens voller Elan aus dem Bett springen und gleich Bäume ausreißen könnten – Morgenmenschen. Vielleicht gehören Sie selbst zu dieser Gruppe. Dann wiederum gibt es solche, die erst zur späteren Stunde richtig in die Gänge kommen. Arbeitsplanung berücksichtigt, spart Energie, die er an anderer Stelle besser einsetzen kann. Und von 16 bis 18 Uhr sollte Bewegung im Tagesablauf berücksichtigt werden. Denn jetzt erreicht die Muskelkraft ihren Höhepunkt und die Koordinationsfähigkeit ist am stärksten. Der beste Zeitpunkt, um ins Bett zu gehen, ist zwischen 22 und 23 Uhr.
_______________________________________
Buch: Yoga für Anfänger, Harry Waesse, GU S. 1
Das Erwachen
Das hörte sich genau danach an, was ich in diesem Moment in meinem Leben suchte. So stellte ich mich auf einen Steg am Gardasee, schlug die ersten Seiten auf und nahm die Stellung des Baumes ein. (Klassische Asana – Yogastellung: Du stehst auf einem Bein, hast die Hände gefaltet und übst Dich im Gleichgewicht.) Sofort spürte ich, wie mein Körper und auch mein Geist auf eine neue, mir noch ganz unbekannte Art ruhig wurden, meine Wirbelsäule sich aufrichtete. Und noch etwas beflügelte meinen Geist, das Gefühl des Angekommen-Seins. Mein Atem vertiefte sich, ging ruhig und gleichmäßig. Voll der Freude probierte ich weitere Yoga-Stellungen aus und fokussierte mich auf meinen Atem. Niemals in meinem Leben ließ mich diese damals begonnene Schulung des Yoga wieder los. Im Gegenteil, ich musste einfach noch viel, viel mehr darüber erfahren.
Jahrtausendealte Bewegungsart
Zurück zu hause in München, fing ich an Yoga zu rechechieren. Yoga wird erstmals in der großen Schriftesammlung der Vedas erwähnt, die teilweise auf mindestens 2500 Jahre vor Christus zurückgehen. Die Hauptgrundlage der Yogalehren und der als Vedanta bekannten Philosophie kommt jedoch aus den ‚älteren Upanishaden’2. Das sind philosophische Schriften aus dem Hinduismus der drittältesten Welt-Religion aus Indien und dem Jahre 700 vor Christus stammend. ‚Upanishad‘ (aus dem Sanskrit, die alte indische Sprache) bedeutet, sich in der Nähe des Lehrers setzend, seinem Guru lauschend.
Es wird vermutet, dass Yoga bereits vor Jahrtausenden praktiziert wurde, wie Darstellungen auf Felsmalereien und Funde von Figuren in Yoga-Stellungen bereits 3000 Jahre vor Christus zeigen. Schriftlich belegt und bis heute gültig wird die Existenz von Yoga erst seit ca. 200 vor Christus vom Altmeister Patanjali in seinem verfassten „Yogasutra“. Nur 195 Sätze (Sutras) umfasst das Yogasutra. Diese Sutras werden als ein einzigartiger Reisebericht in die essentielle Freiheit des Menschen gesehen (das Individuum wird hier ein Reisender im Wagen des materiellen Körpers. Der Wagen ist der Körper, der Kutscher der Verstand, die fünf Pferde die fünf Sinnesorgane, der Fahrgast die Seele, und das Geschirr heißt im Indischen „Yoga“3). Sutra bedeutet übersetzt aus dem Sanskrit ‚Faden‘. Diese 195 Fäden erschließen sich zunächst nicht über den Verstand, denn sie sind wie eine „Perlenkette dessen Perlen auf einem Faden aufgefädelt wurden“ zu betrachten.
_______________________
2 Buch: Yoga für alle Lebensstufen – in Bildern, Sivananda Yoga Zentrum, GU S. 13
3 https://de.wikipedia.org/wiki/Yoga
Patanjali
Der außergewöhnliche Lehrer, Sri T. Krishnamacharya (1888 – 1989) hat diese Schriften erstmalig durch sein langjähriges Studium für die Nachwelt besser verständlich interpretiert und die Grundfesten des Yoga der heutigen Zeit in die Welt gebracht. Sein Sohn und Schüler T.K.V. Desikachar entwickelte den Yoga seines Vaters weiter und gründete 1976 die erste Viniyoga-Schule in Indien. Krishnamacharya beschreibt die Schriften des Patanjali Ashtanga, den achtgliedrigen Pfad des Patanjali. Die ersten 5 Glieder sind dem Kriya-Yoga (praktischer Yoga) zuzuweisen:
1. Yamas, beschreibt den Umgang mit der Umwelt und Gemeinschaft
2. Niyamas zeigt, wie Du mit Dir selbst umgehst, Ich-Bildung
3. Asanas sind die Körperhaltungen, also die Arbeit mit dem Körper
4. Pranayama ist die hohe Lehre des Atems
5. Pratayahara beschreibt die Handhabung der Sinne, die Introversion (Zurücknahme)
Die letzten drei Glieder des Patanjali bestehen aus dem königlichen Weg des Raya-Yoga, die Arbeit mit dem Geiste:
6. Dharana, die Konzentration, Festigung des Inneren
7. Dhyjana, die Meditation als Entdeckung des Bewusstseins
8. Samadhi, das Höchste Gut, der freie Geist, die innere Freiheit, Befreiung des Bewusstsein
Was bedeutet das Wort Yoga?
Durch diese Recherche und dem vertieften Studium, woher Yoga kommt und dass dahinter ein regelrechter Lebensweg zu stehen scheint, wurde mir nun von Zeile zu Zeile, von Buch zu Buch, von Text zu Text immer mehr bewusst. Die Frage stieg in mir auf, was das Wort „Yoga“ denn nun bedeute. Und ich fand mehrere Antworten dazu vor. Swami Vishnu Devananda vom Sivananda Yoga Zentrum meint: „Das allen unterschiedlichen Aspekten der Yoga-Praxis zugrundeliegende Ziel ist die Wiedervereinigung des individuellen Selbst (Jiva) mit dem absoluten oder reinen Bewußtsein (Brahman) – das Wort Yoga bedeutet ‚vereinigen‘.“4
Ein weiterer wertvoller Lehrer unserer Zeit ist B.K.S. Iyengar. Das von ihm entwickelte Iyengar Yoga gilt als eines der genauesten und traditionellsten Yoga-Formen der heutigen Zeit. Ivengars Antwort auf was ist Yoga? lautet: „Das Wort Yoga stammt von der Sanskrit-Wurzel yuj = binden, vereinen, fesseln, anjochen, die Aufmerksamkeit leiten und konzentrieren, gebrauchen, anwenden.“5
Sharon Gannon und David Life, die Begründer des Jivamukti Yogas, eines sehr beliebten Yogastils der heutigen Zeit, beschreiben Yoga so: „Das Sanskritwort Yoga kommt aus der Wurzel yuj, was bedeutet unter ein Joch spannen. Der Yogaübende strebt danach, seine individuelle Seele mit der kosmischen Bewusstheit unter ein gemeinsames Joch zu spannen.“6
________________________
4 Buch: Yoga für alle Lebensstufen – in Bildern, Sivananda Yoga Zentrum, GU S. 15
5 Buch: Licht auf Yoga, B.K.S. Iyengar, O.W. Barth Verlag, S. 13
6 Buch: Yoga der Befreiung, das Praxisbuch des Jivamukti Yoga, Sharon Gannon & David Life, Vianova, S. 19
Die Qual der Wahl – die verschiedenen Yogastile
Aus diesen Yoga-Pfaden haben sich bei uns im Westen nun verschiedene Stile entwickelt und es scheint, als wäre noch kein Ende in Sicht. Die ehemalige Lehre aus Indien hat geradezu einen großen Yoga-Hype bei uns im Westen ausgelöst. Mittlerweile reisen westliche Meister nach Indien um dort den InteressentInnen Yoga-Stunden zu erteilen.
Zu diesem Zeitpunkt wurde mir plötzlich klar, dass ich Unterricht nehmen muß, um mir verschiedene Schulen und Studios in München anzusehen, um die Entscheidung treffen zu können, welcher nun mein Yoga-Weg sein kann. Auch hatte ich durch das Erlebnis am Gardasee die Erkenntnis gewonnen, Yoga über die körperlichen Übungen hinaus und die neuen Atemtechniken besser kennenlernen zu wollen.
Im Laufe der letzten 25 Jahre habe ich mit vielen Lehrerinnen und Lehrern Yoga geübt, Workshops und Weiterbildungen besucht. Vereinfacht läßt sich sagen, wer einen Yoga-Stil sucht, der sich nicht nur mit dem Körper, sondern auch mit Spiritualität und dem Geist befasst, sind alle Unterarten des Hatha Yoga wie Viniyoga, Vinyasa, Anusara u.a. eine gute Möglichkeit, sich zu orientieren. Wer Yoga als konkrete Körperarbeit betreiben will, kann sich nach Power Yoga im Fitnessstudio umsehen oder das körperlich sehr herausfordernde Bikram Yoga bei 38 Grad besuchen. Frauen, die Menstruationsbeschwerden oder hormonelle Probleme haben, können Hormon-Yoga oder Luna Yoga ausprobieren. Bei schweren körperlichen Beschwerden oder Wirbelsäulen-Verletzungen, kann die präzise ausgeführte Übungsfolge des Iyengar Yogas helfen und Fehlhaltungen bei den Asanas vermieden werden. Wer sich lieber mit den spirituellen Seiten der Yoga-Praxis beschäftigen möchte, kann sich im Integralen Yoga auf das Göttliche konzentrieren oder im Kundalini Yoga die kosmische Energie anregen.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Wichtigste ist, dass Dir die YogalehrerIn kompetent und sympathisch ist – wie eben damals in der Schule auch. Danach entscheidet sich, ob auch der Yoga, der unterrichtet wird Dir Spaß macht und Dich animiert, regelmäßig, mindestens ein mal in der Woche den Kurs zu besuchen. Bereits nach vier Besuchen spürst und weißt Du bereits, ob der angebotene Unterricht Dir entspricht und gefällt. Darüber hinaus empfehle ich Dir ein paar Einzelstunden auszuprobieren, um Dich mit der Materie vertraut zu machen. Wie bei allem gilt, erst die Auseinandersetzung mit Dir und der neuen Thematik läßt Dich wachsen und bewußter werden.
Verfasserin Brigitte Felzmann, Managerin, Yogalehrerin seit 2001